Liebes Portugal, ich hab’ da mal eine Frage…

Wie tickt Portugal bzw. die Portugiesen? Warum mögen sich Spanien und Portugal nicht sonderlich? Was ist Saudade? Wieso heißt Kaffee hier Bica? Und was hat Amnesty International damit zu tun? …

Seit fast zwei Monaten bin ich nun schon in Portugal. Ich kann gar nicht genau beschreiben warum, aber ich fühle mich hier einfach pudelwohl! Die Portugiesen sind mir total sympathisch, auch wenn ich sie nicht immer verstehe. Also die Sprache spreche ich immer noch nicht (die Aussprache hier ist aber auch eine Herausforderung…).

Es gibt da einige Fragen aus ganz unterschiedlichen Bereichen, die sich bei mir in letzter Zeit hier in Portugal aufgetan haben. Hier folgt ein etwas tieferer Blick in die Kultur und die Eigenart der Portugiesen. Manches ist echt witzig, manches befremdlich, aber alles in allem macht das total Sinn. Und gerade wegen seiner Widersprüchlichkeiten mag  ich dieses Land wohl so sehr.

Warum verstehe ich kaum ein Wort Portugiesisch?

Portugiesisch ist die offizielle Sprache in 11 Ländern: Portugal, Brasilien, Angola, Mosambik, São Tomé, Príncipe, Osttimor (zusammen mit Tetum), Macau (zusammen mit Chinesisch), Äquatorialguinea (zusammen mit Französisch und Spanisch), Kap Verde und Guinea-Bissau. Es wird weltweit von über 240 Millionen Menschen gesprochen und liegt damit auf Platz sechs der am meisten gesprochenen Sprachen der Welt.

Ich spreche fließend Spanisch und dachte mir – dann kann das Erlernen von Portugiesisch ja nicht so schwer sein. Schließlich sind sich beide Sprachen sehr ähnlich. In der Theorie klappt das auch ganz gut (ich lerne derzeit mit Duolingo). Letztes Jahr in Brasilien konnte ich mich mit den Brasilianern halbwegs gut verständigen, weil diese mein Spanisch verstanden und ich deren Antwort auf Portugiesisch auch halbwegs entziffern konnte.

Ganz anders ist das hier in Portugal: die Aussprache klingt in meinen Ohren eher nach Russisch und ich verstehe kaum etwas. Portugiesen nuscheln extrem und verschlucken ganze Wortsilben. Das macht die Kommunikation nicht unbedingt einfach. Andererseits spricht hier fast jeder Englisch, so dass ich kaum dazu komme überhaupt etwas auf Portugiesisch zu sagen. Meistens kommt die Antwort auf meinen Versuch dann direkt auf Englisch.

Mehr über die Unterschiede des portugiesischen und brasilianischen Form des Portugiesisch erklärt hier ein kleiner Dinosaurier: Brasilianisches vs. europäisches Portugiesisch

Ich versuche dennoch, weiter Portugiesisch zu lernen, weil’s einfach Spaß macht. Und irgendwann fahre ich durch Brasilien und werde mich freuen, wie einfach die Sprache doch zu verstehen ist! :-)

Saudade – was ist das denn?

Das Wort Saudade hast du bestimmt schon mal gehört, oder? Aber was bedeutet es? Wie kann man es am besten übersetzen? Das habe ich mich schon immer gefragt – und jetzt die ernüchternde Erkenntnis: das Wort Saudade wurde in die Liste der 10 “unübersetzbaren Wörter der Welt” gewählt – von Linguisten und Dolmetschern wohlgemerkt!

Saudade wurde einmal beschrieben als “die Liebe, die bleibt, nachdem jemand weg ist”. Saudade ist die Erinnerung an Gefühle, Erfahrungen, Orte oder Ereignisse, die einmal Aufregung, Freude oder Wohlbefinden brachten. Es kann als eine Leere beschrieben werden, wenn jemand (Kinder, Eltern, Freunde, Haustiere, …) oder etwas (Orte, Dinge, …) fehlt, und man fühlt diese Abwesenheit. Es bringt traurige und glückliche Gefühle zusammen, Trauer für das Vermisste und Glück für das Gefühl es erlebt zu haben.

Fado, ist das die Volksmusik Portugals?

Ich glaube, man kann Fado durchaus als Volksmusik bezeichnen. Fado entstand in den verwinkelten Gassen und zwielichtigen Tavernen der Lissabonner Altstadtviertel Alfama und Mouraria und wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts gesellschaftsfähig. Werke dieses Stils handeln meist von sozialen Missständen, unglücklicher Liebe, vergangenen Zeiten oder der Sehnsucht nach besseren Zeiten, und vor allem von der Saudade.

Dabei gibt es große Unterschiede beim Fado. Lissabons Fado ist eher schwermütig. Seine Lieder erzählen vom schweren Schicksal, von großen Emotionen, aber auch vom Leben der kleinen Leute. In Coimbra wird der Fado heute noch beinahe ausschließlich von Männern gesungen, er ist weniger melancholisch. Das Thema der Lieder dort ist das Studentenleben, die Jugend, die durchzechten Nächte.

Die bekannteste Interpretin des Fado ist Amália Rodrigues, die als die Verkörperung des Fado gilt.

Ich konnte mich bisher noch nicht so recht mit diesem Musikstil anfreunden, vermutlich liegt das auch daran, dass ich die Texte kaum verstehe. Aber Musik ist ja schließlich auch Geschmacksache. Und auch nicht jeder Portugiese ist automatisch Fado-Fan.

Wieso mögen sich Spanier und Portugiesen nicht sonderlich?

Foto: Wikipedia

Man hört ja immer wieder, dass sich die Spanier und Portugiesen nicht so ganz grün sind, und das nicht nur wenn’s um Fußball geht (dort aber ganz besonders). Woher kommt das? Diese Anspannung hat vor allem historische Gründe. Der große Nachbar Spanien war in der Vergangenheit nicht immer gut zu Portugal. Es gab mehrere Versuche von den Spaniern, Portugal einzunehmen. 60 Jahre lang hatten sie das auch geschafft (von 1580 bis 1640), da wurde Portugal zur spanischen Provinz degradiert. Während der Fremdherrschaft durch Spanien verlor Portugal die Oberhand über die Weltmeere und somit auch an politischem und wirtschaftlichem Einfluss.

Und die Portugiesen sind diesbezüglich nun mal nachtragend. Es gibt eine Volksweisheit im Portugiesischen: “De Espanha, nem bons ventos, nem bons casamentos” (“Aus Spanien (kommen) weder gute Winde noch gute Hochzeiten.”), die noch heute sehr gebräuchlich ist. Diese bezieht sich zum einen auf die strategischen Hochzeiten der mittelalterlichen Dynastien (Heirat gegen Frieden). Diese wurden zwar ununterbrochen eingegangen, wirkten sich für Portugal jedoch meist negativ aus.

Heutzutage hat der Spruch zumindest meteorologisch noch immer Bedeutung: Der Wind aus der Meerenge von Gibraltar ist gefährlich für die Fischer in Portugal, da sich durch ihn die Wellen gefährlich auftürmen können. Der heiße Südwind aus Spanien macht auch den Bauern im Alentejo zu  schaffen, denn er verbrennt die Ernte. Im Norden Portugals ist es der schneidende Nordostwind, der in den Gemüsegärten alles frieren lässt.

Die spanische Antwort auf diese Volksweisheit ist übrigens ähnlich freundlich: “Entkleide einen Spanier von all seinen Tugenden, und du hast einen Portugiesen.” Tze, so eine Frechheit! ;)

Was hat Amnesty International mit Portugal zu tun?

Foto: Wikimedia

Ein spannendes Detail: die Menschenrechtsorganisation Amnesty International wurde gegründet, als der britische Anwalt Peter Benenson im Jahr 1961 vom Schicksal zweier portugiesischer Studenten erfuhr, die in einem Lissabonner Lokal mit dem Trinkspruch »auf die Freiheit« anstießen. Zu der Zeit herrschte der Diktator Salazar in Portugal, das Wort liberdade (Freiheit) war verboten. Die beiden Gäste wurden denunziert und zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt.

Kurze Zeit später erschien in der britischen Sonntagszeitung Observer ein Artikel mit dem Titel „The Forgotten Prisoners“  (“Die vergessenen Gefangenen”). Dieser rief die Leser auf, sich durch Briefe an die jeweiligen Regierungen für die Freilassung der wegen ihrer politischen Gesinnung Inhaftierten einzusetzen. Die daraus entstandene Aktion Appeal for Amnesty, 1961 gilt als der Anfang von Amnesty International.

Wieso heißt Kaffee hier Bica? Oder carioca, oder galão, pingado…

Wieso heißt Kaffee hier Bica?

Portugiesen trinken gerne Kaffee, so mindestens 2-3 Mal täglich geht man ins Stamm-Café und bestellt einen Bica (in Lissabon) oder Café. Aber was bekommt man da? Die Bezeichnungen sind etwas verwirrend. Ich hab das mal versucht herauszufinden, damit du beim nächsten Café-Besuch in Portugal auch den gewünschten Kaffee bekommst:

Bica ist der typische Espresso – serviert in der kleinen, dickwandigen Tasse, die zu etwa zwei Dritteln gefüllt ist. Aber warum heißt der Bica? Die wörtliche Übersetzung heißt Ausguss – na lecker! Der Begriff Bica ist aber auch eine Wortspielerei und bedeutet Beba Isto Com Açúcar (Trinke dies mit Zucker). Als der Espresso im berühmten Café A Brasileira in Lissabon vermarktet wurde, gefiel den Leuten der bittere Geschmack des Kaffees überhaupt nicht. So entstand dieser neue Slogan – und seitdem ist der Espresso, oder Bica, aus dem Alltag der Portugiesen nicht mehr wegzudenken.

Weitere Kaffeevarianten, die du in den portugiesischen Cafés finden wirst:

  • Café cheio oder einfach nur cheio (“voller Kaffee”): der Espresso wird bis zum Tassenrand aufgefüllt
  • Café italiano / Café curto: starker Espresso (nur eine halbe Tasse, aber mit derselben Menge Kaffeepulver)
  • Café duplo: das gleiche wie Café italiano, nur mit der doppelten Menge an Kaffee und Wasser
  • Café pingado: (“getropfter Kaffee”) Espresso mit ein bisschen Milch
  • Café pingo: ist in Nordportugal die umgekehrte Variante: heiße Milch mit ein wenig Kaffee, in einer Espressotasse serviert
  • Café americanoCafé abatanado: Filterkaffee
  • Carioca de café: noch schwächer als der Café americano, quasi ein Zweitaufguss
  • Descofeinado: koffeinarmer oder koffeinfreier Kaffee
  • Galão: wird im Glas serviert und besteht aus Milch (2/3) und Kaffee (1/3)
  • Cafe com leite:  Milchkaffee
  • Meia de leite: (“halb Milch”) Mischung aus Milch und Kaffee, je zur Hälfte
  • Café com cheirinho: (“Kaffee mit Düftchen”) Espresso mit einem Schuss Branntwein (Bagaço, Macieira oderMedronho) oder Whisky
  • Um nescafé = löslischer Kaffee

Jetzt ist alles klar, oder?

Was hat es mit diesem komischen Hahn von Barcelos auf sich?

Der Hahn von Barcelos
Quelle: Flickr

Überall in Portugal sieht man diesen bunten Hahn, auf Postkarten, Handtüchern, Topfuntersetzern, Flaschenöffnern… aber was bedeutet dieses Tier für die Portugiesen? Ich habe mal ein bisschen recherchiert und bin auf die Legende des Galo de Barcelos gestoßen:

Diese portugiesische Legende erzählt von einem Bauern, der aus der Stadt Barcelos aufbrach, um nach Santiago de Compostela zu pilgern. Am Stadtrand von Barcelos beschuldigte ihn ein reicher Landbesitzer des Silberdiebstahls. Der Bauer wurde vor Gericht gestellt, schuldig gesprochen und zum Tod durch den Strang verurteilt. Vor seiner Hinrichtung verlangte der Bauer ein letztes Mal, mit dem Richter zu sprechen, der ihn verurteilt hatte. Der Richter war gerade dabei, gebratenen Hahn zu essen, als ihm der Verurteilte sagte, dass der Hahn als Zeichen seiner Unschuld vom Teller hüpfen und während seiner Hinrichtung krähen würde. Als dann der Verurteilte hingerichtet werden sollte, begann der Hahn tatsächlich zu krähen. Der Richter rannte zum Stadtplatz, um die Hinrichtung zu stoppen. Er sah, dass der Strang wie durch ein Wunder aufgegangen war. Einige Jahre später kam der Bauer nach Barcelos zurück und errichtete eine Gedenkstätte für den Heiligen Jakobus (San Tiago) und die Jungfrau Maria. (Quelle: Wikipedia)

Das war nur ein kleiner Teil meiner Fragen an Portugal, mehr Fragen & hoffentlich Antworten kommen bestimmt. Hast du auch eine Frage über Portugal? Vielleicht eine Eigenart der Portugiesen, die du nicht verstehst? Dann her damit!

Weiterlesen

Die folgenden zwei Bücher habe ich in den letzten Tagen gelesen und habe daraus sehr viel gelernt über die Portugiesen und warum hier einige Dinge einfach so sind wie sie sind. Klare Lese-Empfehlung!

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15 Gedanken zu „Liebes Portugal, ich hab’ da mal eine Frage…“

  1. Hey Mandy,
    das ist wirklich ein toller Artikel über Portugal. Das Buch “Ein Länderportrait” haben wir auch gelesen und empfehlen es JEDEM! Im Landesinneren und weiter im Norden haben wir vergeblich versucht einen Bica zu bestellen, Café wurde aber verstanden ;-) . Auch mit unserem englisch kamen wir abseits von Städten und Küsten nicht weiter, französisch sprechen sie oder natürlich portugiesisch – da kannst Du üben ;-) !

    Liebe Grüße aus dem Süden,
    Sven und Doreen

    Antworten
    • Hallo ihr beiden! Stimmt, “Bica” wird glaub nur in und um Lissabon verwendet.
      Bisher sind mir “leider” nur englisch sprechende Portugiesen über’n Weg gelaufen. Ich suche noch die, die nur Portugiesisch sprechen. Mal sehen, ob mir das noch gelingt. BIs dahin übe ich weiter die Theorie der Sprache. :-)

      Antworten
    • Eine Katastrophe! Ich hab’s irgendwann aufgegeben… Lesen geht, Verstehen ist echt ein großes Drama. Meistens hab ich mich auf Englisch verständigt, das klappt ja hier ganz gut. Am Portugal-Portugiesisch bin ich echt verzweifelt. In Brasilien war das sooo viel einfacher! Menno! ;)

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    • Hm, ich denke wenn du Spanisch kannst und dann das brasilianische Portugiesisch hörst, verstehst du die Leute recht schnell, ohne überhaupt die Sprache zu können (ich hab dort Spanisch gesprochen u. die Leute haben auf Portugiesisch geantwortet – klappte wunderbar).
      Die Aussprache ist in BR viel klarer, da wird eher gesungen. In PT klingt das für mich eher wie Russisch, viel mehr Genuschel und “schschsch” überall. ;)
      Die Grammatik ist in BR auch vereinfacht, ähnlich wie im südamerikanischen Spanisch vs. Spanien-Spanisch.
      Also der einfachere Weg Portugiesisch zu lernen ist vermutlich die brasilianische Variante (gibt’s bei Duolingo übrigens). Und wenn du das dann drauf hast, ist Portugal vermutlich die “Advanced” Lesson, die dann vllt. noch mal ein Jahr dauert, bis man das auch aussprechen u. verstehen kann. ;-)

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    • Mandy Raasch Leider spreche ich Spanisch auch nicht. Ich finde Portugiesisch halt super schön, Spanisch irgendwie nicht so. Portugal ist eines meiner liebsten Reiseländer, weswegen ich aus dieser Perspektive gesehen, das portugiesische Portugiesisch sinnvoller fände, andererseits habe ich einige brasilianische Freunde und plane auch bald einmal dorthin zu reisen…ach, ich überleg noch ein wenig ;-). (auf die Gefahr hin, dass ich es dann nie angehe…)

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    • Katharina, dann stürz dich einfach ohne Vorbehalte ins Portugal-Portugiesisch, wenn das mehr Sinn für dich macht! ;) Ich glaube wenn du das von Grund auf lernst, geht das sicher auch. Ist halt nicht so einfach zu lernen wie die BR Version, aber sicherlich auch nicht unmöglich. Ich drück die Daumen!

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  2. Hallo Mandy,
    toller Beitrag, sehr interessante Infos. Wir waren vor einigen Wochen in Portugal und die Erinnerungen verblassen nicht. Es war einfach traumhaft.
    Ich lerne seit einigen Monaten auch Portugiesisch mit Duolingo, eine großartige App.
    Vielen Dank, dass Du Deinen Blickwinkel auf die portugiesische Lebensweise in Deinem Artikel teilst.
    Liebe Grüße
    Mandy

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