Für meinen zweiten Besuch in Porto hatte ich einen Wunsch: ich will hinter die schönen Fassaden der Stadt schauen. Ich möchte sehen wie die Menschen hier leben, wie es ihnen geht und wie der Alltag in Porto aussieht. Diese Infos bekommt man natürlich nicht bei einer normalen Walkingtour.
Ich bin zufällig auf das Angebot von The Worst Tours gestoßen – natürlich war der Name ein Grund, der mich sofort neugierig gemacht hat. Ich mag ja schräge Konzepte generell. Beim näheren Hinschauen wird mir schnell klar – das muss ich machen!
Die Tour mit Pedro führt uns in den Ostteil von Porto. Denn das ist scheinbar der Ort, der als nächstes mit massiven Investitionen und Renovierungen aufgehübscht werden soll. Leider wird dies zum Großteil aus neuen Hotels bestehen (deren Bau verrückterweise teilweise durch Steuergelder finanziert wird).
Pedro’s Frage dazu: Wovon soll Porto in 30 Jahren leben – außer vom Tourismus?
Zahlen und Fakten zum Leben in Porto
Ca. 70% der Bevölkerung Portugals lebt von einem Jahreseinkommen von unter 7.000 Euro – das sind knapp 580 Euro im Monat! Für uns Touristen ist eine Ferienwohnung mitten in der Stadt, die nur 300€ für eine Woche kostet, ein super Schnäppchen – für die Portugiesen unbezahlbar.
Ja, Airbnb ist auch in Porto inzwischen zu einem Problem geworden. Über 3.000 Ferienwohnungen gibt es in Porto. Die Stadt ist ja nicht sonderlich groß – hier leben knapp 240.000 Einwohner. Und davon wandern immer mehr in die Orte außerhalb Portos ab – fast 100.000 Menschen sind innerhalb der letzten 40 Jahre aus Porto weggezogen, meistens in die Vororte. Inzwischen leben in Vila Nova de Gaia (auf der anderen Flussseite südlich von Porto) mehr Menschen als in Porto – über 300.000 – denn dort sind die Mieten noch bezahlbar.
Dennoch will ich Airbnb nicht generell verteufeln und für das Problem allein verantwortlich machen. Für viele der Bewohner ist Airbnb eine gute Einnahmequelle, denn Jobs gibt es in Porto (und im Rest des Landes) aufgrund der anhaltenden Finanzkrise noch immer nicht.
Während der Walking Tour durch Porto wurden viele meiner Fragen beantworten, u.a.:
Warum stehen so viele der alten Häuser in Porto leer und verfallen?
Einfache Antwort: die Besitzer „warten ab“ – nämlich auf den perfekten Moment, wenn es sich lohnt, aus den alten Gemäuern im schlimmsten Fall noch ein Hotel zu machen und damit viel Geld zu verdienen. In der Altstadt von Porto kann man dies bereits beobachten – viele der alten Gemäuer werden restauriert und meistens bleibt vom Original – wenn überhaupt – nur die Fassade übrig, alles andere wird neu aufgebaut. Das gefährdet auch den Status der Altstadt von Porto, die zu einem der 15 UNESCO-Welterbe-Stätten Portugals gehört.
Was mich persönlich sehr irritiert hat, war die Information, dass auch die katholische Kirche viele Immobilien in Porto besitzt. Und sie spielt in der Immobilien-Spekulation genauso mit wie alle anderen: Anstatt sich darum zu kümmern, die über 2.000 Obdachlosen in Porto mit einem Dach über dem Kopf zu versorgen oder den sozialen Wohnungsbau zu unterstützen, investiert auch die Kirche lieber in schicke Hotels und Luxus-Apartments. Muss man nicht verstehen…
Ilhas – die Inseln der kleinen Arbeiterhäuser
Etwas versteckt hinter den großen Fassaden, zugänglich nur zu Fuß über eine schmale Gasse, finden sich in Porto mehrere Hundert sogenannter Ilhas (Inseln). Hier wurden kleine Häuserreihen für Arbeiter gebaut in Zeiten, als der Zuzug der Bevölkerung in die Stadt noch groß war. Die Häuser sind sehr einfach und nur knapp 16-20 qm groß. Das sind Orte, wo die Portugiesen noch bezahlbaren Wohnraum finden – mitten in der Stadt.
Ursprünglich gab es keine Badezimmer im Haus – dafür ein Gemeinschaftsbad für alle Bewohner. Inzwischen hat sich das geändert und die Gebäude werden von den Bewohnern instand gehalten und renoviert. Das gute daran: die Menschen leben mitten in der Stadt und sind nicht in die Vororte verbannt, wie es immer wieder versucht wurde. Die Ilhas sind kleine Gemeinden, in denen jeder jeden kennt, also nicht wie diese anonymen Hochhäuser am Stadtrand.
Eine Shopping Mall wird zum Proberaum
Neben alten Wohngebäuden stehen auch viele Shopping Malls der Stadt leer. Das sind meist hässliche Beton-Monster, die das Stadtbild nicht wirklich schmücken. Inzwischen sind die meisten Shopping Center außerhalb der Stadt zu finden, am Autobahn-Ring gelegen. Ein kleiner sympathischer Lichtblick kommt aus dem Centro Comercial Stop (Rua do Heroísmo 333, Porto) – denn dort erklingt inzwischen Musik! Über 100 Bands haben in der Mall ihre Proberäume angemietet. Damit stehen die alten Gemäuer nicht mehr leer sondern werden wieder mit Leben gefüllt – sehr spannend! Bei Future Places kannst du mehr über das Projekt lesen.
Was habe ich bei der Worst Tour gelernt?
Mit dieser Tour durch Porto habe ich einen sehr guten Einblick in das Leben der Portugiesen bekommen, die aktuellen Probleme und der immer hoffnungsvolle Blick in eine bessere Zukunft.
Die Situation in Porto hat mich teilweise sehr an Berlin erinnert – dort ist der Wohnraum ebenfalls knapp, die Mietpreise steigen stetig und auch Airbnb bzw. der hohe Anteil an Ferienwohnungen in der Innenstadt ist ein Thema dort. Die Gentrifizierung macht auch in Porto nicht Halt. Eine Lösung habe ich nicht parat, ich hoffe das es aber irgendwie gelingt, den Charakter der Stadt zu erhalten und den Tourismus auf gesunde Weise für die Weiterentwicklung zu nutzen.
Was ich besonders finde: Pedro & sein Team wollen nicht „noch eine Tour für Touristen“ anbieten – stattdessen wollen sie auch aktiv die Bewohner der Stadt dazu animieren, mit ihnen durch die Straßen zu ziehen und mehr zu erfahren über ihre Heimat.
Deshalb gibt es auch keinen festgelegten Preis für die Tour – am Ende kann jeder einen beliebigen Betrag geben. Eine kleine Hilfe für die Kalkulation findet sich auf der Website: “If you’re having doubts about how much to tip (10% on nothing is nothing, right?) just throw in the equivalent to a cleaning-person’s earnings in your country, for the equivalent of the time of the tour, and it’ll be ok – especially if you’re norwegian.“ ;)
Dieser Beitrag wurde übrigens nicht gesponsert, sondern meine Begeisterung von der Worst Tour hat mich animiert, direkt darüber zu schreiben und diese Tour zu empfehlen. Bei der Registrierung für The Worst Tours Porto kannst du angeben, welche Themen dich besonders interessieren, dann wird darauf auch eingegangen. Die hier beschriebenen Themen waren nur ein kleiner Teil der über 3,5 Stunden langen Tour durch Porto!
Also, wenn du mal in Porto bist und dich die Hintergründe interessieren, dann geh mit der „schlechtesten“ Tour auf Tour!
Interessanter Artikel. Das sind so die Fakten, die einem meistens nicht bekannt sind, wenn man ein Land bereist.
Wow, was für ein tolles Konzept! Das nenne ich mal “hinter die Kulissen blicken”. Gibt es sowas auch in anderen Städten oder Ländern? Ich bekomme fast Lust, sowas selbst ins Leben zu rufen.
Das ist ‘ne gute Frage! Ich kenne spontan keine ähnlichen Touren anderswo. Aber ich werde mal Pedro fragen (den Tourguide von Worst Tour), ob er etwas weiß. :)
Die Häuser vergammeln, weil linke Regierungen verhindert haben, dass Vermieter die Mieten an die Inflation des Escudo anpassen. Ich kenne Leute, die für 80 Euro monatlich auf 120 qm Altbau wohnen. Natürlich kann kein Vermieter so die Instandhaltung finanzieren. Der Staat sichert aus Denkmalschutzgründen die Fassaden, wenn das Haus zusammenzubrechen droht. Airbnb ist nicht das Problem, sondern die Lösung. Die Wohnblöcke im Speckgürtel Portos sehen NICHT aus wie Duisburg Marxloh oder Berlin Marzahn, das sind gepflegte, funktionierende Gemeinden, in denen man prima leben kann. Was übrigens 1,5 Millionen Menschen tun, die Metropolregion Porto hat 1,75 Mio. Einwohner. Die allermeisten leben nicht in der Innenstadt und wären froh, dort Touristen zu bewirtschaften.
Danke für deinen Kommentar und die Infos, David. Das Thema spielt ganz sicher auch mit rein. Wer nun genau Schuld ist, kann ich und will ich nicht beurteilen. Aber wenn in der Innenstadt jedes 2. Gebäude zu einem Hotel oder Ferienwohnung umfunktioniert wird, mag das ja gut sein für den Tourismus. In ein paar Jahren ist die Altstadt dann aber nur noch ein ziemlich leblose Kulisse, wenn das so weiter geht.
Leblos ist Portos Innenstadt zwei Monate im Jahr, zur absoluten Nebensaison um Weihnachten herum (ich war am 25.12.2016 da). Denn bereits JETZT wohnen dort eben keine Portugiesen mehr. Die Wohnungen stehen leer und vergammeln, weil die früheren Einwohner entweder zum Arbeiten nach Nordeuropa umgezogen sind oder in den Speckgürtel, wo die Bausubstanz nicht marode ist. Sobald die Saison beginnt, brummt die Innenstadt. Wegen der Touristen und der Portugiesen, die zum shoppen und ausgehen kommen, bevor sie wieder nach Hause gehen.
Ach wie schade, dass ich die Tour nicht gemacht habe. War bis gestern in Porto. Genau diese Frage, über die ganzen leerstehenden Häuser habe ich mich auch gestellt, in allen Portugiesischen Städten eigentlich. Angeblich soll dort aber, im Gegensatz zu Deutschland, auch der Trend herrschein aus den Städten aufs Land zu ziehen….
Super Interessant, da ich mich auch gerne mit den “echten Seiten” beschäftige… Und nein, Airbnb ist nicht die Lösung….
Sehr interessanter Einblick!
Wo man auch hinschaut, die katholische Kirche ist fast überall Teil des Problems.
Die Lösung des AirBnB-/Gentrifizierungs-/Mietpreisproblems ist in Deinem Blog schon angelegt: mehr Wohnmobile und Vans! :-)
Danke für Deine Sicht hinter die Kulissen von Porto. Eine etwas andere Herangehensweise an die Erkundung einer Stadt. Diese hat mir aber super gefallen. Mehr davon ;)
Danke für das Lob, Alex! Leider ist’ gar nicht so einfach, solche Insider Touren zu finden. Aber vllt. tut sich da mal was… :)
Toller Artikel. Wir glauben, dass viele Städte der Welt dieses Problem haben, nur dass die meisten Touristen sie gar nicht mitbekommen. Man wandert durch die schönsten Teile einer Stadt, hat dazu noch eine rosarote Brille auf und will gar nicht die grauen Seiten sehen.
Das Konzept ist definitiv interessant und vielleicht lässt sich damit sogar eine kleine touristische Nische abdecken.
Ja, das stimmt leider. Dabei sind die Ecken abseits der Touristenpfade meistens viel spannender. Aber wenn man eben nur 1-2 Tage in einer Stadt verbringt, kommt man eben schwer aus dieser “Touri-Bubble” raus.
Ich hoffe auch, dass es mehr solcher Touren auch in anderen Städten gibt. Ich werde das mal recherchieren…
Hey Mandy, ein klasse Artikel :) Ein grund mehr gleich noch einmal nach Portugal und vor allem Porto zu reisen. Auf unserem Zwischenstopp in Porto haben wir gleich gemerkt, dass es sich lohnt, hier mehr Zeit mitzubringen. Hatten bei unserem Roadtrip von der Algarve hinauf an die Grenze zu Spanien leider nur einen Tag in Port eingeplant.
Ja, Porto (bzw. ganz Portugal eigentlich!) ist immer eine Reise wert – ich war fast 6 Monate dort unterwegs und habe noch längst nicht alles gesehen!
An Porto fand ich besonders schön, dass es dort noch etwas gemütlicher zugeht als in Lissabon.
Dann plant mal eine weitere Reise nach Portugal ein – langweilig wird das garantiert nicht. ;-)